Aus dem Sanella-Album China Tibet Japan

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Bis dahin aber wird die Lösegeldforderung der Seeräuber in Hongkong bekannt sein: "Für jeden Jungen 10 000 Hongkong=Dollars Lösegeld. Die Summe ist bei der portugiesischen Bank in Macao zu hinterlegen." Wang hat ähnliche Geschichten oft genug in Schanghai in der Zeitung gelesen. Er erzählt Tom, daß es nur dann blutig zugeht, wenn sich jemand wehrt. Das wissen auch die andern Jungen, und darum bleibt alles ganz still. Auch die Heimleiter werden die Anweisungen der Seeräuber befolgt haben, andernfalls sind sie geknebelt und an Händen und Füßen gefesselt worden. Wang steht ein Bild vor Augen, das er kürzlich in einer Schanghaier Zeitung gesehen hat. Da liegen zwei Gefesselte neben den Bordkanonen einer Seeräuberdschunke. Die beiden Jungen legen sich wieder auf ihre Betten und beraten. "Wir gehören ja gar nicht zu dieser Schule, und unsere Eltern wohnen auch nicht in Hongkong", sagt Wang. "Ob die Seeräuber die Passagierliste durchgesehen haben? Vielleicht stehen unsere Namen gar nicht in der Liste. Wir bekamen ja erst wenige Stunden vor der Abfahrt der "Suiwo" die Erlaubnis, dieses Schiff der Reederei benutzen zu dürfen, weil zwei andere Fahrgäste ihre Fahrkarten zurückgegeben hatten. "Zu dumm, daß ich noch telegraphiert und die 'Suiwo' erwähnt habe", antwortet Tom.

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"Mit den Radionachrichten zu Mittag werden nun auch unsere Väter und deine Mutter in Schanghai in derselben Sorge sein wie die Eltern all der anderen Jungen." Wang holt tief Atem und pfeift ausatmend die Luft durch die Zähne "s=s=s=s=a=a!" Das tun die Chinesen immer dann, wenn sie weder ein noch aus wissen. Tom sagt nach einer Weile: "Kannst du nicht den Zahlmeister bitten, daß er uns als Schiffsjungen ausgibt? Dann kommen wir mit dem Schiff wieder frei, und unsere Väter haben überhaupt kein Lösegeld zu zahlen." Wang glaubt nicht, daß dies ein Ausweg ist. "Bei den Zahlmeistern weiß man nie, ob sie zu den Seeräubern oder zu den Passagieren halten. Aber ich will es versuchen, wenn sich eine Gelegenheit bietet." Um 7 Uhr ruft der Gong die Jungen zum Frühstück, als ob nichts geschehen wäre. Einigen Jungen stehen Tränen in den Augen. Sie haben bis jetzt gar nicht gemerkt, was vor sich gegangen ist, und eben erst davon erfahren. Billy setzt sich neben Tom an den Frühstückstisch und fragt ihn im Flüsterton: "Werden sie uns nun auf Dschunken packen und in ihren armseligen Fischerhütten gefangenhalten oder gar in die Berge verschleppen!?" Wang tröstet ihn. "Dir und mir und den andern wird nichts geschehen, wenn wir uns nur ruhig verhalten. Wenn du schon etwas länger in China gelebt hättest, dann wüßtest du, daß in China das Sprichwort gilt: ,Abwarten und Teetrinken'. Mir machen nur meine und eure Eltern Sorge." Billy schluchzt und rührt den Porridge nicht an, den der Boy vor ihn auf den Tisch gestellt hat. Er horcht auf die Gespräche der andern Jungen. Die Tischplätze der beiden Heimleiter sind leer.

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In Hongkong werden die Eltern vielleicht schon beim 0=Uhr=Frühstück durch das Radio hören, daß ihre Söhne entführt worden sind. Wie ein Lauffeuer wird die Nachricht durch Hongkong gehen: "Suiwo' mit 50 Jungen gekidnappt." Die britische Regierung in Hongkong wird natürlich Gegenmaßnahmen ergreifen. Sie wird Kanonenboote und die schnellen Zerstörer aufbieten, die gekaperte "Suiwo" zu verfolgen. Sie wird Aufklärer und vielleicht Bomber der RAF einsetzen, um die Seeräuber zur Vernunft zu bringen. Es wird auch einige Väter und Mütter geben, deren Nerven stark genug sind, auf die Wirkung solcher Gegenmaßnahmen zu hoffen. Viele aber werden das Lösegeld telegraphisch an die Bank in Macao überweisen. Und dann wird das geschehen, was die meisten Jungen erhoffen: Die Seeräuber werden, ohne einen Jungen mitzunehmen, die "Suiwo" wieder verlassen und den Kapitän die geplante Reise fortsetzen lassen. Als Billy halbwegs getröstet seinen Löffel ergreift, verstummen die Gespräche der Jungen. Ein Mann in ärmlicher Chinesenkleidung ist an den Tisch getreten, an dem gestern beim Abendbrot die Heimleiter saßen.

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