Aus dem Sanella-Album China Tibet Japan

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Seite 22

Erst nach Dunkelwerden erreichen sie einen größeren Ort. Nur aus der Tiefe einiger offener Läden dringt trübes Licht. Hunde bellen. Der Vormann klopft bei einer Herberge an. Wieder werden sie in den Hof getragen. Tom taumelt, als er Wang und dem Vormann in das Gastzimmer folgt. Eine blakende Öllampe steht auf einem staubigen Tisch. Er ist so müde, als ob er selber 100 Li gelaufen wäre. Ihm schmeckt nur die Suppe und der Tee, den Reis rührt er nicht an.

Für jeden 300 Dollar

Als Tom wieder erwacht, ist es Morgen. Ein nasses, schwarzes Borstenschwein reibt sich an seiner Bambuspritsche und jagt ihm einen jähen Schreck ein. Wang ist schon auf. Er wäscht sich mit dem heißen Handtuch, das der Vormann gebracht hat. "Guten Morgen, Tom!" sagt Wang, "das Flußboot Richtung Kanton geht in einer halben Stunde!" Draußen ist alles regennaß. Der Vormann bringt sie unter einem großen Ölpapierschirm an den Anleger. Da hocken bereits ein Dutzend Landleute, die ihre Erzeugnisse in die nächste Stadt bringen wollen, unter ihren Regenschirmen und warten auf das Boot.

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Von Tom, dem einzigen Weißen, nehmen sie kaum Notiz. Das kleine Fischerboot ist schon überladen, als es angedampft kommt. Niemand steigt aus, aber viele wollen noch mit. Unter großem Geschrei und Gedränge werden auch noch die Bambuskörbe der Wartenden verstaut. Jeder setzt sich oben auf irgendwelches Gepäck. Tom hat glücklicherweise einen festen Koffer. Gut, daß er sich auch schon in Singapore auf Heins Rat einen Brustbeutel gekauft hat, in dem nun seine 75 Dollar sicher verwahrt sind. Der Vormann ist mit an Bord gekommen, aber in dem Augenblick, wo das Boot ablegt, springt er auf den Anleger zurück. Soll Tom jetzt "Tufei!" schreien und die versprochenen 300 Dollar fordern? Wang legt nur einen Finger auf den Mund. "Keine Aufregung! Sonst sind wir es, die festgenommen werden. Ich habe die 600 Dollar in der Tasche!" - Merkwürdiges Land, denkt Tom. "Ich hatte mir vorgenommen, wenigstens den Sänftenträgern ein reichliches Trinkgeld zu geben." - Trotz der Enge an Bord, die bei jeder Haltestelle noch schlimmer wird, klettert auch hier ein Eßwarenhändler zwischen den Körben herum. Sie essen Reis und Leberpasteten, kaufen sich Leitschies und Sonnenblumenkerne. Und acht Stunden später sind sie in Kanton, der Millionenstadt im Perlflußdelta, wo der Ostfluß (Tungkiang) mit Nord= und Westfluß (Pehkiang und Sikiang) zusammenfließt.

In Kanton

Wangs Onkel ist gar nicht überrascht, als die Jungen in seinem Hause ankommen. Er hatte am Donnerstag in der Zeitung gelesen, daß sein Neffe zusammen mit einem deutschen Jungen von Piraten der Biasbucht verschleppt worden war. Aber er hatte keine Lösegeldforderung bekommen und das von Anfang an als ein gutes Zeichen angesehen.

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Freitag sei dann ein Telegramm von Wangs Vater aus Schanghai angekommen. "Wang und Tom frei. Rückreise Zeit lassen." - Darüber sind die Jungen sehr froh. Sie beschließen, sich einige Tage Kanton anzusehen und dann mit der Bahn nach Schanghai zu fahren. Tom ist erstaunt, wieviel Ähnlichkeit die Wohnung des Onkels mit dem Haus an der Biasbucht hat. Dieselbe Anordnung der Höfe und Zimmer! Nur gibt es hier elektrisches Licht, elektrische Ventilatoren und fließendes Wasser. Der Abort ist nicht in der äußersten Ecke des Hinterhofes neben der Küche. Wangs Tante ist eine freundliche Frau, die gut Englisch spricht. Sie hat drei Söhne und zwei Töchter. So sitzen sie bei jeder Mahlzeit zu neun um den großen runden Tisch im Speisezimmer. Dabei geht es lustiger zu als im Tufeihaus. Zum Abendessen, zwei Stunden nach ihrer Ankunft, hat der Koch bereits 40 Gerichte auf dem Tisch. Haifischflossensuppe, Vogelnestersuppe, Lotoskernsuppe, Hummern, Mandarinfisch, geröstetes Huhn, geröstete Ente, geröstete Tauben, Schinken aus Sojabohnenmehl, Ananas, kandierte Datteln, getrocknete Leitschies und daneben all die andern Gerichte, die Tom schon kennt.

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