Aus dem Sanella-Album China Tibet Japan

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Lebenszeichen zeugen von dem Reichtum des Erbauers. Als die Hupe des Familienautos dreimal in kurzen Abständen ertönt, stürzt der Kaimendi aus seinem Wärterhäuschen hervor. Erst als er im Scheine des inneren Wagenlichtes die Familie erkannt hat, öffnet er schnell das Tor. Nach der Durchfahrt wird es noch schneller wieder geschlossen. Auch auf den Straßen von Schanghai gibt es Kidnapperbanden! Oft liegen sie vor den Häusern wohlhabender Geschäftsleute auf der Lauer und holen aus wartenden oder langsam fahrenden Wagen ihre Opfer heraus. So geschah es dem Eigentümer des Hauses, in dem die Wangs jetzt billig zur Miete wohnen, weil kein Reicher mehr hineinzuziehen wagt. Vater Birkenfeldt und Herr Wang haben verabredet, daß Tom solange im Hause Wang in Schanghai bleiben soll, bis der Geschäftsauftrag in Nanking erledigt ist. Wie lange das dauert, weiß kein Mensch, denn wer mit Chinesen Geschäfte machen will, darf sie nicht zur Eile drängen. Vater Wang wird von seinem Chauffeur morgens und nachmittags ins Büro gefahren und zum Mittag= und Abendessen wieder heimgeholt. Zwischendurch steht der Wagen Tom und Wang zur Verfügung. Sie können sich fahren lassen, wohin sie wollen. Der Chauffeur ist ein freundlicher Mann. Auf wenig belebten Straßen läßt er auch einen Jungen mal ans Steuer. Wang ist schon so sicher im Fahren, daß er jederzeit seine Fahrerprüfung machen könnte. So kommt Tom um so häufiger dran. Gelegentlich fahren sie auch mit einem Autobus oder mit einer Familienrikscha in die Stadt. Zu Fuß gehen ist kein Vergnügen. Im Juli und August zeigt das Thermometer fast mehr als 300. Die Schuhe der Fußgänger bleiben nicht selten im weichgewordenen Asphalt stecken. Mindestens zweimal am Tage nehmen Tom und Wang ein Brausebad und wechseln die verschwitzten Hemden. Am angenehmsten sind die Abendstunden zwischen 9 Uhr und Mitternacht. Bis dahin sind ganze Familien mit ihren Kindern auf den Straßen und in den Parks. Eines Mittags bringt Vater Wang aus seinem Büro die Nachricht heim, daß Tom am Abend zu Hause bleiben soll. Herr Birkenfeldt will aus Nanking anrufen und Tom wenigstens telephonisch begrüßen. Das ist für Tom eine große Freude. Ihm verschlägt es fast die Stimme, als das Telephon einige Minuten nach der verabredeten Zeit klingelt. Bei der Entfernung von mehr als 300 Kilometern ist die Verständigung gut, nur sind manchmal merkwürdige chinesische Sprechlaute in der Leitung.

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Tom berichtet seinem Vater über die Fahrt von Kanton und was er indessen in Schanghai alles schon gesehen hat: die Hochhäuser der City, den "Bund", d. h. die berühmte Hafenuferstraße am Wangpufluß, das Teehaus mit der siebenzackigen Geisterbrücke in Nantao und das neue Rathaus von Großschanghai in Kiangwan. "Heute nachmittag haben wir am Bund eine große Polizeirazzia auf Opiumschmuggler miterlebt. Ein am Ufer festmachender Jangtsedampfer war von Hunderten von Polizisten umringt. Polizei am Pier und Polizei in Hafenbooten. Alle Polizisten hatten kugelsichere Westen an und Maschinenpistolen in den Händen. Mehrere Schmuggler wurden gefesselt abgeführt und viele Kisten mit Opium auf Polizeilastwagen verladen. Wir glaubten, jeden Augenblick würde die Knallerei losgehen. Wir hatten hinter dem Denkmal des britischen Zolldirektors Robert Hart schon Deckung bezogen." Tom verschweigt seinem Vater auch nicht, daß er Autofahren lernt und daß ihm das eigentlich am meisten Spaß macht. Vater Kleinermann hat nichts dagegen. "Wenn du versprichst vorsichtig zu sein, darfst du auch deine Führerscheinprüfung machen. Damit kannst du mir später einen chinesischen Chauffeur ersetzen!"

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