Aus dem Sanella-Album China Tibet Japan

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Tom ist gerne einverstanden. Um den Paukenturm, von dem mit dröhnenden Paukenschlägen die Tagesstunden verkündet werden, macht die Straße ein Karussell. "Potsdamer Platz" nennen die Deutschen in Nanking den Verkehrsknotenpunkt, bei dem die Sun=Yatsen=Straße zum Sun=Yatsen=Tor abbiegt. Welcher Gegensatz zum engen Sutschau! Auch hier niedrige chinesische Häuser, aber welche Weite und Großartigkeit der Stadtplanung. Hinter den Zinnen der Mauer ragen die Gipfel der Purpurberge auf, an deren Fuß das Grabmal von Sun Yatsen neben den Mingkaisergräbern liegt. Tom sieht die Purpurberge gleich im richtigen Licht. Purpurn, rosa und goldgelb leuchtet der Himmel dahinter auf. Als der Autobus zurückfährt, erstrahlen im Geschäftsviertel bereits die Neonlichter.

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Herr Lebetanz erzählt

Das Hotel International ist innen wie außen ein moderner Luxusbau nach amerikanischem Geschmack. Dicke Teppiche mit Drachenmustern verschlingen jedes Geräusch auf den Gängen und im Speisesaal. Blütenweiß gekleidete Boys servieren lautlos die Speisen. Tom hat sich Eisbein mit Sauerkraut gewünscht und ein helles Bier dazu. Herr Lebetanz ist schon viele Jahre in China. Er hat Sun Yatsen noch persönlich kennengelernt und war bei seiner Beisetzung im Mausoleum am Purpurberg dabei. Mit Dutzenden von chinesischen Bürgerkriegsgeneralen und Politikern hat er gegessen und getrunken, in Nanking und Peking, in Kanton und Tschungking. Er hat die chinesisch=japanischen Kriege von 1931 und 1937 bis 1945 miterlebt und den Kampf um die Macht in China zwischen Tschiangkaischek und Mao Tse=tung. Nach dem Essen setzen sie sich zu einer Tasse Kaffee gemütlich in tiefe Stahlrohrsessel. In diesem Hotel mit Klimaanlage summt nicht einmal ein Ventilator. Nur das Gemurmel leiser Unterhaltung ist von den Nebentischen zu hören. Zuerst muß Tom berichten, von der Fahrt mit der "Elbestrand", von Hongkong und der "Suiwo", von dem Haus an der Biasbucht und dem Opiumschmuggler in Schanghai. "Trotz allem scheinst du ebensogern in diesem Land zu sein wie ich", sagt Herr Lebetanz. "Es ist ein merkwürdiges Land, wo es jeden Tag etwas Neues, Unerwartetes zu erleben gibt. Wie anders sah dieses Nanking aus, als ich 1927 zum erstenmal hierher kam. Damals standen die Mauern wie heute. Wie sie der Mingkaiser Hung Wu hatte erbauen lassen, um die gleiche Zeit, als Klaus Störtebeker und die Hansestädte Krieg führten. Aber innerhalb der Mauern sah 1927 alles ganz anders aus als heute. Der Nachfolger von Hung Wu hatte 1409 Peking zur Hauptstadt des Reiches gemacht, und Nanking war zu einer Provinzstadt herabgesunken. Die verheerende Taipingzeit und die Stürme der chinesischen Revolution von 1911 waren darüber hinweggefegt

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