Aus dem Sanella-Album China Tibet Japan

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Tatsienlu über Batang und Tschamdo nach Lhasa zu bauen. Wenn wir Glück haben, können wir von Batang noch ein Stück mit einem Auto weiterfahren." Der Minya Gongkar bleibt zur Linken noch lange sichtbar. Im Schein der Spätnachmittagssonne leuchten Firnschnee und Gletscher noch strahlender auf. Im Nordwesten hebt sich jetzt die gewaltige Bergkette des Schara vor anderen, fernen Ketten ab. In der Tiefe fließt der Jalungfluß smaragdgrün zwischen dunklen Waldflecken dahin. Über Litang erkennen sie selbst aus großer Höhe die vergoldeten Dächer einer Lamaserei. Das ortskundige Auge Dorrtsches hat sie erspäht. "In dieser Gegend wird viel Gold gewaschen", fügt er mit einem vieldeutigen Lächeln hinzu. Noch einmal ist eine Kette von Fünftausendern zu überqueren, dann geht es in großen Kurven hinab nach Batang, das, "nur" 2800 Meter hoch, in einem Seitental des oberen Jangtse liegt. Für tibetanische Verhältnisse ist dieser Ort mit 3000 Einwohnern eine "Großstadt". Auf dem Flugplatz, einem auffrisierten Jakweideplatz, sind erst wenige Maschinen gelandet. Wird die Landung jetzt ohne Bruch gelingen? Selbst dem Abt, der seit Tschengtu regungslos mit untergeschlagenen Beinen dagesessen hat, spürt man die Erregung an.

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Batang - ohne Bruchlandung

Er lächelt Tom freundlich zu, als er als erster aus der Maschine steigt. Zahlreiche Lamas und Beamte sind zu ihrer Begrüßung auf dem Flugplatz erschienen. Chinesische Soldaten haben Mühe, die Menge der Neugierigen fernzuhalten. Die meisten haben so einen fremden "Vogel" noch nie aus der Nähe gesehen. Sie wollen ihn anfassen, fühlen, ob er auch Federn und ein schlagendes Herz hat wie die Adler und Lämmergeier, die tibetanische Jäger gelegentlich mit altertümlichen Vorderladern erlegen. Auf hartgesattelten Pferden reiten die Ankömmlinge in die graue Stadt hinein. Über ihre flachen Dächer ragen ein paar Apfel= und Birnbäume auf. Die Dunkelheit bricht schnell herein. Das Lamakloster ist zu ihrem Empfang mit Hunderten von kleinen Butterlämpchen illuminiert. Pauken dröhnen, aus meterlangen Tuben kommen Töne wie aus Schiffssirenen. Im Speisesaal des Klosters wird Tom das selbe Essen serviert wie den chinesischen Beamten: Reissuppe mit Hühner= und Jakfleisch, Äpfel und Birnen zum Nachtisch. Er löscht seinen Durst mit einigen Schalen wohlschmeckender Jakmilch, während die Chinesen ungezählte Schälchen Reiswein trinken und immer lustiger und lauter werden.

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Der Abt und die Lamas essen Tsamba und Obst, sie trinken keinen Wein. Tsongkhapa, der Stifter der gelben Lamakirche, hat den Genuß von Alkohol verboten. "Den Tsamba, unser tibetanisches Nationalgericht, mußt du doch wenigstens probieren", sagt Dorrtsche zu Tom, der aufmerksam der Unterhaltung in chinesischer Sprache zugehört, aber nicht viel verstanden hat. Dorrtsche reicht ihm einen runden Holznapf, in dem etwas Tee, bräunliches Gerstenmehl und ranzige Jakbutter gemischt sind. "Knete es mit deinen Fingern gut durch und forme kleine Würstchen daraus! Du wirst dich wundern, wie gut das schmeckt." Tom tut, wie ihm geheißen und kostet ein wenig. Er hat eine feine Nase und eine Abneigung gegen Jakhaare. Höflicherweise läßt er sich nichts anmerken. Er lächelt und dankt. "Wenn ich nicht schon satt wäre, würde ich drei Schalen davon leer essen." Sie gehen bald zur Ruhe. Tom ist mit Dorrtsche zusammen in einer engen Lamazelle untergebracht. Er breitet seinen Pelzmantel über die Lehmbank und benutzt seine Pelzmütze als Kopfkissen. Morgen wollen sie früh aufbrechen. Eine Brücke über den Jangtse ist drei Stunden Ritts weiter nach Süden. Es ist noch die alte Karawanenbrücke, die nur für Tragtiere und nicht für Fahrzeuge gebaut wurde. Aber auf der anderen Seite soll ein Auto warten, das, in Teile zerlegt, dorthin getragen und wieder zusammengebaut worden ist. Und dieses Auto würde sie - so haben die chinesischen Beamten gesagt - in einem Tage bis nach Tschamdo bringen, 300 Kilometer! Dorrtsche scheint selbst nicht recht an diese Kunde zu glauben. "China schiebt sich immer tiefer nach Tibet hinein vor", sagt er mit einem tiefen Seufzer. Bald hört Tom sein unruhiges Schnarchen.

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