Aus dem Sanella-Album China Tibet Japan

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Seite 08

Bürgersteigen, sondern auch auf der Fahrbahn. Autos kommen nur mit ohrenbetäubendem Gehupe schrittweise vorwärts. Aus den oberen Stockwerken der Geschäftshäuser hängen bunte Reklamefahnen mit riesigen chinesischen Schriftzeichen tief in die Straße hinab. Tom ist doch ein wenig besorgt, daß er Wang in diesem Gedränge verliere. Nur ab und zu taucht ein weißes Europäergesicht auf. Chinesen, Tausende von Chinesen, und fast alle im Ischang, Männer, Frauen, Alte, Junge, Kinder. Und alle Ischangs haben fast den gleichen Schnitt, die weißen, grauen, blauen, braunen und schwarzen Männerischangs und die prächtigen, farbenfrohen Frauenischangs in Gelb und Rot, Lila und Grün. In den Geschäftsstraßen wird alles angeboten, was es in irgendeiner Großstadt der Welt zu kaufen gibt. Was Tom hier besonders auffällt, sind die überladenen Schaufenster der großen Seiden=, Fächer=, Elfenbein=, Silberwaren= und Porzellangeschäfte. Dann die Läden mit chinesischen Kunstgegenständen: auf Seide gemalte, geschnitzte, bronzene, silberne, goldene und aus Porzellan gefertigte Buddhafiguren, Drachen, Tiger, Elefanten. Eine Hand hat Tom immer an seiner Geldbörse.

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Eine halbe Stunde später ist das Gedränge nicht mehr ganz so schlimm. Der Strom der Angestellten aus den Büros, die nach zweistündiger Nachmittagsarbeit um fünf Uhr schließen, hat sich verlaufen. Sie blicken in Seitenstraßen, die als Treppenstraßen den Inselberg hinanführen. Tom tritt mit Wang in ein Hutgeschäft ein. Bis unter die Decke türmen sich ineinandergestülpte Chinesenkappen. Die Maotse, die krempenlose Kopfbedeckung der chinesischen Männer, ist immer schwarz. Nur der kleine Stoffknopf obendrauf hat drei verschiedene Farben, schwarz für den Alltag, weiß für Trauer und rot als Zeichen der Freude. Auf der andern Ladenseite sind auch Tropenhelme in allen Farben und Formen: rundliche, längliche, weiße, graue und khakifarbene. Der chinesische Verkäufer fragt nach Toms Hutnummer. Als Tom auf englisch "57" sagt, schüttelt sich der Verkäufer vor Lachen. "Fi=f=t=y=s=e=v=e=n?" fragt er lustig und so laut, daß die zwanzig anderen Verkäufer im Laden mitlachen. Tom wird rot. Wang wird rot. Wang sagt schnell ein paar Worte auf chinesisch. Dann legt der Verkäufer Tom ein Maßband um den Kopf und verkündet "221/4". Nun ist ein passender und auch der von Tom gewünschte Hut bald gefunden. Tom bekommt auf seinen 10=Dollar=Schein noch 21/2 Hongkong = Dollar zurück, zwei 1=Dollar=Scheine und fünf silberne 10=Cent=Stücke. Als er mit seinem neuen schneeweißen Topi den Laden verläßt, machen 21 Ladenangestellte lächelnd eine Verbeugung. Die Dunkelheit bricht früh und schnell herein. Tom wundert sich nicht mehr darüber, seitdem Kapitän Ohlsen ihm erklärt hat, warum die Tage in den Tropen kurz und fast ohne Dämmerung sind. Jetzt leuchten an allen Geschäften und in allen Farben die Neonröhren auf.

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"Da kommt selbst unser Kurfürstendamm nicht mit", gesteht Tom. Am grellsten sind die Eingänge der Kinos und Theater beleuchtet. Die Titel der Filme und Theaterstücke werden durch laufende Lichterschrift in Englisch und Chinesisch angekündigt. "Der Tod des Tigergenerals" - "Die gute Erde" - "Die Dame mit der roten Hand" - "Der Richter mit dem eisernen Gesicht".

"Der Tod des Tigergenerals"

Tom möchte den Tod des Tigergenerals sehen und dabei ein chinesisches Theater kennenlernen. Wang warnt ihn: "Das Spiel wird ungefähr fünf Stunden dauern, und von der gesungenen chinesischen Sprache wirst du so gut wie gar nichts verstehen." Tom ist trotzdem entschlossen. Er weiß schon, daß man im chinesischen Theater während der Vorstellung zu Abend essen kann und jederzeit aufbrechen darf, wenn es einem nicht mehr gefällt. An der Kasse im Vorraum hören sie schon den Lärm der Musik. Schrille Geigen, Flöten, Trommeln, Pauken, Lauten, Schlaghölzer und Schellen. Besucher kommen und gehen, während das Spiel bereits in Gang ist.

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