Aus dem Sanella-Album China Tibet Japan

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Seite 51

EMPFEHLUNGSSCHREIBEN DES KAISERS

Für den IX. Pantschen Lama, der 1937 in Jekundo am oberen Jangtse gestorben war, fand man einen Nachfolger drei Jahre später in der Nähe des Klosters Kumbum. Die Seele eines verstorbenen Großlamas mag sich ebensowohl im Körper eines Bauernsohnes wie in dem eines Adelskindes eine neue Wohnung suchen. Durch eine solche Inkarnation kann jeder tibetanische Junge, ob reich oder arm, zum Dalai oder Pantschen Lama aufsteigen. Jede Mutter, die beim Tode eines Großlamas gerade einen Sohn geboren hat, hofft und wünscht, daß ihr Sohn der Auserwählte sein möge. Darum müssen die Lamamönche, die ausgesandt werden, den Nachfolger zu finden, viele Jungen im Babyalter prüfen." "Aber Babies und Drei= oder Vierjährige können doch noch nicht lesen und schreiben", wendet Tom ein, der an seine Mittelschulprüfung denkt. Dorrtsche lächelt. "Die Prüfung des XIV. Dalai Lama ging so vor sich. Nachdem das Staatsorakel, ein weissagender Mann in Lhasa, in dem Wasserspiegel eines Sees das Bild eines Bauernhauses gesehen hatte, gingen die Mönche auf die Suche nach diesem Haus. Am Kukunorsee fanden sie eins, das dem beschriebenen genau glich. Dort wohnte ein Bauer mit vielen Kindern. Darunter war der vierjährige Kundün. Ihn prüften sie, weil seit dem Tode des Dalai gerade vier Jahre vergangen waren. Sie gaben ihm vier Trommeln zum Spielen. Eine davon war die Trommel des verstorbenen Dalai Lama gewesen, die anderen hatte man ihr möglichst genau nachgebildet. Kundün griff sofort nach der geheiligten Trommel und spielte damit. Dann legte man dem Kind vier Handstöcke hin, von denen einer dem Dalai Lama gedient hatte. Kundün wählte keinen der silberglänzenden neuen, sondern den verschrammten, gebrauchten. Als er unter atemloser Spannung der Prüfenden auch noch die dritte Probe bestand und von vier Gebetsketten diejenige erwählte, die von dem verstorbenen Dalai getragen worden war, da hatte Kundün die Prüfung bestanden. Er wurde nach Lhasa in die Potala, die Gottesburg, gebracht und dort von Lamas und Adeligen erzogen. Solange er unmündig war, führte ein Regent die Staatsgeschäfte für ihn. Mit sechzehn Jahren aber übernahm er selbst die Regierung.

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Zu seinen Freunden und Beratern gehörte auch ein deutscher Forscher, der mehrere Jahre in Lhasa lebte" - " ... und der das Land verließ, als die Truppen Mao Tse=tungs auf Lhasa marschierten", wirft Herr Wu ein. Wenigstens mit einem Ohr hört er immer auf die Gespräche, die Dorrtsche und Tom führen. Unbeirrt fährt Dorrtsche fort: "Der X. Pantschen Lama ist im Kloster Kumbum in der äußersten Nordostecke Tibets erzogen worden. Er hat trotz seiner Jugend schon weite Reisen gemacht. In diesem Frühjahr hat unser Abt ihn in Peking im Kaiserpalast gesehen. Dort saß er bei einem Festmahl zur Rechten von Mao Tse=tung. Der Pantschen wird uns bald auf dieser Straße folgen und nach Lhasa reisen. Er wird nicht nur sein Amt als Abt von Taschilumpo antreten, der Junge ist auch zum Leiter der Regierungsgeschäfte in der Provinz Tsang ernannt worden." Tom geht es wie den Pilgern, die nach dem heiligen Lhasa wallfahren. Je schlimmer die Strapazen der Reise werden, desto heißer wird der Wunsch, in die erhabene Stadt einzuziehen und im Anblick des Potala und unter den segnenden Händen des Dalai Lama alle Anstrengungen zu vergessen. Bis Tschamdo am Mekong geht die Autofahrt glatt vonstatten. Die Autostraße ist sogar noch ein Stück über diesen Ort hinaus fertiggestellt. Dann aber folgen tagelange Ritte im harten Ponysattel. Hitze und Staubstürme bei Tage und grimmige Kälte und eisige Winde am Abend und in der Nacht. Wenn die Reiterkarawane sich lang auseinanderzieht, weil die Tiere nicht ein gleiches Tempo einhalten können, dann drohen Überfälle von Räubern, Wölfen und Leoparden. Die Kunde, daß zwischen Chinesen und Tibetanern fortan Friede und Freundschaft herrschen soll, ist noch nicht bis zu allen Räuberstämmen vorgedrungen. Sie betrachten das Ausplündern der Karawanen reicher Kaufleute überdies als ihr angestammtes Recht. Wenn Toms Reisegesellschaft in einer großen Staubwolke dahinzieht, sehen die Räuber nur den starken Schutz der Soldaten und vermuten reiche Beute. Mehr als einmal kommt es zu mächtigen Feuergefechten. Sogar MG.s haben die Räuber, wohl von entlaufenen tibetanischen Soldaten gekauft. Tom hält sich immer möglichst dicht an Dorrtsche. Seine reichen Erfahrungen auf den Pilgerfahrten von Tibet sind ein besserer Schutz als die Waffen der Eskorte. Einmal kommt ein bewaffneter Räuber ganz nahe an Dorrtsche und Tom heran. Der Lama ruft dem verwegen aussehenden Mann einige Worte zu. Da geschieht etwas, was Tom hell auflachen läßt. Wie eine freche Berliner Range steckt der Räuber ihm seine Zunge aus, ganz tief. Das gilt in Tibet als ein Zeichen höchster Ehrerbietung. Dorrtsche hatte ihm zugerufen, daß Tom als Gast des Dalai Lama reise. Immer sind die Tempel und Klöster am Wege für den Empfang der Reisegesellschaft gerüstet. Sie bekommt das beste Essen, das ärmliche Dörfer oder reiche Klöster aufzubieten vermögen. Oft ist es nur Tsamba und Buttertee. Aber daran gewöhnt sich Tom ebenso schnell wie an das Ungeziefer in den Herbergen. In den meisten Klosterzellen wimmelt es von Wanzen und Läusen. Als die Reisegruppe bei Tschamdo den Mekong und zwei Tage später bei Schapje Sampa den Salwin überquert, hätte Tom am liebsten ein Bad genommen. Aber dafür ist weder Zeit, noch haben seine Mitreisenden Verständnis für einen solchen Wunsch. Das tägliche Waschen von Gesicht und Händen ist in Tibet nicht üblich, es gilt sogar als schädlich. Wenn nicht heiße Quellen besonders dazu einladen, wird ein gründliches Bad nur ein= oder zweimal im Jahre genommen. Statt dessen reiben die Tibetaner ihre Haut täglich mit Jakbutter ein. Das verhindert einen Sonnenbrand und mildert den Eishauch der Stürme. Vor Schopando ist wieder ein Teilstück der neuen Straße fertig, und der Abt und seine Gesellschaft können in einem Jeep in einigen Stunden die Strecke von zwei Tageritten hinter sich bringen. Dann aber geht es wieder in eine Kette von Gipfelriesen hinein, die alle über 6000 Meter hoch und mit ewigem Schnee und Eis bedeckt sind. Das sind die östlichen Ausläufer des Transhimalaja, über den Tom in Sven Hedins Büchern gelesen hat. Jetzt geht der Ritt über Pässe, die mehr als 5000 Meter hoch sind. Tom ist glücklich, daß er sich mit Pelzmantel und Pelzmütze vor dem Eiswind schützen kann. Ohne seine Pelzstiefel würden ihm die Füße in den Steigbügeln erfrieren. Dabei laufen Hirten, Lamas und Pilger in Pelzmänteln barfuß herum. In der warmen Sonne entblößen sie auch die eine oder andere Schulter. "Sie waschen sich in der Sonne", sagt Dorrtsche lächelnd zu Tom. Auf den Hochflächen finden die Hirten für ihre Lagerfeuer keinerlei Holz. Jakdung ist das einzige Brennmaterial. An seinen beißenden Rauch muß Tom sich erst gewöhnen. Sorgfältig trägt er in seine Tibetkarte jeden Morgen das Tagesdatum ein. So weiß er genau, daß er am 18. Tage nach der Fluglandung in Batang ist, als sie bei der Medukongkar den Kjitschufluß erreichen.

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