Aus dem Sanella-Album China Tibet Japan

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Felsenzunge zwischen dem Jangtse und einem seiner größten Nebenflüsse. Je nach der Jahreszeit steigt und fällt der Wasserspiegel um 20 bis 30 Meter. Alljährlich werden vom Hochwasser Hunderte von Holzhäusern, welche die breiten Felsentreppen der Ufer säumen, fortgeschwemmt, aber von den hartnäckigen Chinesen auch immer wieder neu gebaut. Der Handel am Fluß ist die Quelle des Lebens in Tschungking und wird es immer bleiben, wo hingegen die Regierungsviertel auf sicherer Höhe zum Teil verödet daliegen. Es ist gerade 50 Jahre her, seitdem es dem ersten Dampfschiff gelang, den 600 Kilometer langen, an Felsenschluchten und Stromschnellen reichen Flußabschnitt unterhalb Tschungkings zu durchfahren. Vorher konnten die Waren der Küstengebiete nur in flachen Dschunken nach Szetschuan gebracht werden. Sechzig Treidelkulis waren nötig, um eine große, flache Dschunke stromauf zu ziehen, und die Fahrt durch die Schluchten dauerte etwa 30 Tage. An Felsenvorsprüngen der Ufer sieht man heute noch die tiefen Rillen, welche von den Bambusseilen der getreidelten Dschunken im Laufe von Jahrhunderten in den Sandstein gescheuert wurden. Seit 1904 sind in den Schluchten zwischen Itschang und Tschungking rund 400 Dampfschiffe gestrandet und mehrere Dutzend total verlorengegangen. Der Fluß ist so tief, daß keins der Wracks die Schiffahrt behindert hat. Noch immer ist die Fahrt ein gefährliches und entsprechend teures Abenteuer. Wang hat für seine Rückfahrkarte 250 Dollar bezahlt. Tom kostet die einfache Fahrt abwärts über 100 Dollar. Dafür haben sie aber auch alle Bequemlichkeiten der I. Klasse mit Liegestühlen auf einem besonderen Aussichtsdeck, das noch höher liegt als die Kommandobrücke des Kapitäns. Da das Schiff wegen der gefährlichen Strudel nachts vor Anker geht, entgeht den Jungen kein Abschnitt der Fahrt. Zwei Tage lang liegen sie in ihren Deckstühlen, lassen sich das beste europäische Essen servieren, und Tom erzählt und erzählt. In Itschang steigen sie in einen größeren Flußdampfer um.

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Zwei Tage später sind sie in Hankau, dem "Chikago von China". Obgleich diese große Handels= und Industriestadt noch rund tausend Kilometer von der Küste entfernt ist, liegen hier doch schon Ozeandampfer bis zu 10 000 BRT auf dem Strom. Dieser macht in seinem Mittel und Unterlauf zahlreiche große Windungen. An beiden Ufern sind riesige Deiche, über die man zur Zeit des winterlichen Niedrigwassers nicht hinwegschauen kann. Tom und Wang spielen mit dem Kapitän und dem Zahlmeister Mah=Jongg. Der Kapitän behauptet, daß sein Schiff zu Zeiten sommerlicher Überschwemmungen quer über die Deiche gefahren wäre und die Flußschleifen abgeschnitten hätte. Aber Tom weiß nicht, ob das nicht ein Seemannsgarn ist. Er genießt das faule Leben an Bord. Nach den Anstrengungen des Rittes hat er Ruhe nötig. Von Deck gibt es außer Möwen, Dschunken und Dampfern nicht viel zu sehen. Nur zwischen Nanking und Pukau steht Tom vom Mah=Jongg=Tisch auf, und als der Flußdampfer tutend das Schanghaier Elektrizitätswerk passiert, steht er winkend neben Wang an der Reling.

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