Aus dem Sanella-Album China Tibet Japan

=========================================

Seite 60

Nakamura=san. "Das ist ein kleines Übel unseres wohltätigen Bades. Das Silber kann unten wieder blankgeputzt werden, aber die Rheumaschmerzen, die wir hier kurieren, kehren nicht wieder." Von der Busstation haben sie nur einen kurzen Weg zu Herrn Nakamuras Haus. Es ist mitsamt dem dazugehörigen Garten von einem übermannshohen Holzzaun umgeben; er hat nie einen Farbanstrich getragen, man sieht deutlich die Maserung der sonnengebleichten Kiefernbretter. Das Haus dahinter ist nicht viel höher als der Zaun; sein flaches Dach ragt nach allen Seiten weit über die hölzernen Wände hinaus. Ein paar Schritte durch den mit sauberen Felssteinen und bizarren Zwergtannen geschmückten Vorgarten, dann stehen sie vor der Haustür, die ebenso wie das Gartentor weder Schloß noch Griff hat. Nakamura=san klatscht in die Hände, dann wird die Schiebetür zur Seite geschoben. Das Hausmädchen hat geöffnet. Frau Nakamura kniet im Vorraum des Hauses vor einer weiteren Schiebetür auf einer kniehohen, glänzend polierten Stufe und verbeugt sich vor ihrem Mann und seinem Gast. Die Herren verbeugen sich gleichfalls. Hände werden nicht geschüttelt. Vor der hölzernen Stufe ist der Vorraum betoniert, hier stehen wohl ein Dutzend Paare Getas und Schuhe.

.

Die Magd, die beim Türöffnen in ihre Getas geschlüpft war, stellt diese wieder zu den übrigen Paaren und kniet, sich verbeugend, nun neben der Hausfrau. "Mein lieber Tom!" sagt Nakamura=san, "ich will dich gleich richtig in die Sitten eines japanischen Hauses einführen. Bis auf wenige Mietskasernen in den Großstädten sind alle japanischen Wohnungen fast gleicherweise eingerichtet, und was du hier lernst, wird dir in ganz Japan von Nutzen sein. - Stell, bitte, deinen Koffer auf den Steinfußboden, bis das Mädchen ihn vom Reisestaub gereinigt hat. Dann setze dich wie ich auf die Stufe und zieh deine Schuhe aus. Die erhöhte Stufe und die Mattenfußböden des Hauses dürfen unter keinen Umständen mit Straßenschuhen betreten werden. So! Und nun komm herein!" Die Magd schiebt die innere Schiebetür wieder zu, und Tom befindet sich mit dem Ehepaar in einem großen, das ganze restliche Haus einnehmenden Raum, der auf zwei Seiten von feingegliedertem Holzgitterwerk umgeben ist. Der glänzend saubere Fußboden ist in gleich große, etwa zwei Quadratmeter messende Mattenrechtecke aufgeteilt. Die wohl drei Meter hohe, ungestrichene Holzdecke besteht aus spiegelglatt gehobelten, schöngemaserten Brettern. Außer einem nur fünfzig Zentimeter hohen Tisch befindet sich kein einziges Möbelstück in diesem Raum. Durch das Seidenpapier, welches über das Holzgitterwerk der Außenwände geklebt ist, fallen die letzten Sonnenstrahlen ein. Rundum ist Garten: Kiefern rauschen, und ein Brunnen plätschert. Durch die auch verschiebbaren Außenwände kann man auf die Veranda und in den Garten hinuntergehen. Auch dort stehen Gartengetas auf den Stufen bereit. Der große Innenraum läßt sich durch Schiebetüren in vier Zimmer unterteilen. Leicht und fast geräuschlos geht das vor sich. Als Tom und der Hausherr von der Veranda zurückkehren, sind bereits zwei Zimmer abgeteilt. Für jeden Herrn liegt ein Hauskimono zum Umkleiden bereit. "Mach dich für das Bad fertig", bittet Nakamura=san, "die heißen Qellen Unzens versorgen uns zu jeder Tages= und Nachtzeit kostenlos mit heißem Badewasser." Im Kimono gehen sie in den Baderaum, der sich ebenso wie die Küche in einem Nebengebäude befindet. In dem gekachelten Becken hätten wohl zehn Männer Platz. "Erst säubern, dann einsteigen!" sagt Nakamura=san. Holzkübel, Seife und Bürsten stehen zum Abschrubben bereit. "Jede japanische Familie hat eine Badegelegenheit, und sei es nur ein großer Holzkübel. - Vorsicht beim Einsteigen! Das Wasser hat eine Temperatur von ungefähr 40 Grad!" Tom hätte seine Füße auch ohne Warnung wieder zurückgezogen. So weit er im Wasser war, läuft die Haut krebsrot an. Ganz langsam muß sich der Körper an solche Hitze gewöhnen. Toms Herz klopft gewaltig. Eine Minute ist für das erstemal genug. Nakamura=san bleibt wohl zehn Minuten im Becken und gießt sich hinterher viele Kübel eiskalten Wassers über den Körper. Als Tom in das für ihn bereitete Zimmer zurückkehrt, ist sein Bett schon gemacht. Unmittelbar auf dem Mattenboden liegt eine Steppdecke als Lager, eine zweite ist zum Zudecken darübergebreitet. Das Mädchen bittet Tom zum Abendessen. Herr und Frau Nakamura sitzen schon mit untergeschlagenen Beinen auf dem Fußboden am niedrigen Eßtisch. Als guter Turner kann auch Tom so sitzen, aber bald schmerzen seine Knie dabei. Nakamura=san schiebt ihm ein dickes Kissen unter. Auf dem schwarzen Lackholztisch steht vor jedem Esser ein schwarzes Lackholztablett mit je sieben gefüllten Schüsseln und einer Teetasse. Neue hölzerne Eßstäbchen und ein Porzellanlöffel liegen daneben. "Das Essen mit den Stäbchen hast du in China gelernt, aber an unsere andersartigen Gerichte wirst du dich erst gewöhnen müssen. Guten Appetit! Zuerst kommt die Suppe in der Lackholzschüssel." Die Suppe ist so klar, daß die elektrische Zimmerlampe sich in dem Lackboden der vollen Schale spiegelt. Nur ein kleines grünes Blatt und ein Fettauge schwimmen oben darauf. Die Flüssigkeit hat fast keinen Geschmack, aber sie erfrischt merkbar. In den sechs Porzellanschalen sind je drei Bissen roher Fisch, gekochter Fisch, gebratener Fisch, rohes Rettichgemüse, Eierkuchen und Reis. Tom ißt wie der Hausherr alle Schüsseln leer, jedoch bereitet ihm der rohe Fisch einige Schwierigkeiten. Er ist froh, daß er sich mit einem Schälchen Sakeh (Reiswein), das der Hausherr ihm anbietet, den Geschmack von der Zunge spülen kann. Nach dem Essen erzählt Tom stundenlang von seinen Eltern, von Berlin und seinen Reisen. Nakamura=san wird nicht müde, zuzuhören und immer neue Fragen zu stellen. Seine Frau, die keine fremde Sprache versteht, hört bis zum Ende geduldig zu. Nur hin und wieder verdolmetscht Nakamura=san ihr einen Satz. - "O=hayo, Tomsan!" (Guten Morgen, Herr Tom!"). Sumiko=san, die Magd steht vor seinem Lager und zeigt auf ihre Armbanduhr. Es ist schon nach zehn! Hurtig springt Tom auf und läuft im Schlafkimono in das Badehaus zum Waschen. Wunderbar hat er geschlafen in dieser kühlen Höhenluft. In den Gärten von Unzen ist noch keine Blüte aufgesprungen. Herr Nakamura hat das Haus schon um sieben Uhr früh verlassen. Vor dem Dienst pflegt er eine Runde Golf zu spielen. Für Tom hat er eine Mitteilung hinterlassen, er möge sich heute in Unzen umsehen, bei den Schwefelquellen, im Zen=Tempel und in der Schule. Herr Tanaka, der Rektor, sei bereit, Tom beim Unterricht zuhören zu lassen. In der Sportstunde könne er auch selbst mitmachen. Frau Nakamura ist auf den Markt einkaufen gegangen. Toms Frühstück steht auf dem Lackholztisch: Reis, Sojatunke, Sojamehlsuppe und eine eingemachte Pflaume. Diese ist so sauer, daß Tom beim Essen das Gesicht verzieht. Aber die Magd sagt "Yoroschi!" ("Gut!") und klopft dabei auf ihren Leib. Tom versteht richtig, daß die sauer eingemachte Pflaume gut für die Verdauung ist.

Aso - größter Vulkankrater der Erde

Zum Wochenende macht Tom mit dem Ehepaar Nakamura und ihrer einzigen Tochter Sumiko einen Ausflug zum Aso=Vulkan.

.

  Bildrückseite 87