Aus dem Sanella-Album China Tibet Japan

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 Sumiko besucht in Kumamoto, der größten Stadt auf der Südinsel Kiuschiu, eine Heimschule. Früh um sechs Uhr ist der Autobus nach Schimabara, der Hafenstadt an der Ostseite der Unzenhalbinsel, schon vollbesetzt. Bis auf wenige Männer tragen alle Fahrgäste einen Festtagskimono. Auf unerhört steiler und kurvenreicher Straße geht es in einstündiger Fahrt zum Hafen hinab. Auch hier stehen die Kirschbäume in voller Blüte. Zwischen zahlreichen, kiefernbewachsenen Felseninseln der Bucht leuchten unzählige weiße Segel von Fischerfahrzeugen auf. Welch ein liebliches und friedliches Bild! Und doch ist es erst 160 Jahre her, daß sich hier eine furchtbare Erdbebenkatastrophe ereignete. 1792 versackte ein Teil eines Berges in der Tiefe, der Hafen Misumi bildete sich, und die vielen kleinen Inseln tauchten aus dem Meer auf. Der schmucke kleine Dampfer, der sie in eineinhalbstündiger Fahrt über die Bucht nach Misumi bringen soll, ist beängstigend voll von Ausflüglern. Ganze Familien - und das heißt in Japan bis zu zehn Köpfe -, ganze dörfliche und städtische Wohngemeinschaften sind auf der Reise, um irgendwo eine besonders schöne Kirschblütenschau zu erleben. In Misumi ragt aus der Kirschblütenpracht ein hohes Schloß auf. Es wurde im 16. Jahrhundert von dem christlichen japanischen General Yukinaga erbaut. Yukinaga drang 1592 im ersten koreanischen Feldzug der Japaner bis nach Keijo vor, der Stadt, die heute unter dem Namen Seoul in der ganzen Welt bekannt ist. Für eine Besichtigung des Schlosses ist heute keine Zeit. Auf dem Bahnhof steht der Zug bereit, der sie in weiteren zweieinhalb Stunden Fahrt über Kumamoto an den Fluß des Aso bringt. Auch Kumamoto, die Großstadt, wird von den Resten einer mittelalterlichen Burg überragt. Sie wurde in den Kämpfen zwischen Kaiser= und Schogunatsanhängern 1877 teilweise zerstört. Bei dem Gedränge auf dem Bahnhof haben die Nakamuras einige Mühe, ihre Tochter Sumiko zu finden. Sie hat sich Tom zu Ehren ein Kleid nach europäischer Art angezogen. Sumiko=san ist ein fröhliches Mädchen mit zwei langen schwarzen Zöpfen. Sie spricht gut Englisch. Tom versteht sich mit ihr von Anfang an ebensogut wie mit Wang. Lachend erzählt sie von harmlosen "Dummheiten", wie sie Mädchen im Pensionat zu machen pflegen. Sie weiß aber auch über ihr Land und seine Geschichte gut Bescheid. Am Bahnhof von Botschu füllen sich vier große, stromlinienförmige Autobusse mit Ausflüglern, die alle die Rundfahrt zum Aso=Vulkan machen wollen.

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 Neben Tom sind zwei junge amerikanische Soldaten die einzigen Nichtjapaner. Der 1592 Meter hohe Aso=san soll von allen Vulkankratern der Welt den größten Umfang haben. Das gilt nicht für den gegenwärtig tätigen Nakadakekrater, sondern für ein urzeitliches Kraterloch von 138 Kilometer Umfang, in dem die Lavamassen vor Jahrtausenden eine große Ebene bildeten. Auf dieser liegen heute drei Städte und elf Dörfer mit 70 000 Einwohnern. Mitten auf der Ebene haben sich fünf jüngere Vulkangipfel gebildet, von denen der Nakadake bis heute tätig ist. Seine Rauchwolke steht wie der "Pilz" einer Atomexplosion vor ihnen. Schon rieselt Asche durch das geöffnete Dach des Autobusses auf ihre Köpfe. Die Frauen spannen ihre Regenschirme aus Ölpapier auf, um ihr Haar zu schützen. Bis auf zwei Kilometer fahren die Autobusse an den Kraterand heran. Dort steht neben einem Opferschrein ein aus Steinen erbautes Rasthaus. Die meisten Besucher gehen zu Fuß so weit an den Kraterrand heran, wie ihr Mut es zuläßt. Dann kehren sie mit den Bussen nach der Bahnstation zurück. Herr Nakamura hat einen anderen Plan: Er will mit Tom einen günstigen

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